Bürokratie belastet vor allem KMUs und Selbstständige
Die Bürokratie ist mit Abstand die größte Herausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland. Besonders betroffen sind einer aktuellen Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zufolge mittelständische Unternehmen und Selbstständige. Die Beschäftigten der rund 3,8 Millionen mittelständischen Unternehmen in Deutschland verwenden im Durchschnitt rund 7 Prozent ihrer Arbeitszeit für bürokratische Prozesse. Das entspricht durchschnittlich 32 Stunden im Monat pro Unternehmen – oder insgesamt 1,5 Milliarden Arbeitsstunden im Jahr.
Das Statistische Bundesamt beziffert die durchschnittlichen Kosten einer Arbeitsstunde in Deutschland mit 41,30 Euro. Umgerechnet ergeben sich danach 61 Milliarden Euro an Arbeitskosten, die allein für bürokratische Prozesse anfallen. Den größten Aufwand verursachen die Erfüllung der steuerlichen Pflichten, Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten sowie Anforderungen im Bereich des Rechnungswesens.
Die KfW-Befragung der Unternehmen ergab, dass Solo-Selbstständige den größten bürokratischen Aufwand haben. Sie verwenden im Durchschnitt sogar 8,7 Prozent ihrer Arbeitszeit für die Erledigung dieser Aufgaben.
Vom Wahlkampf in den Koalitionsvertrag
Der Bürokratieabbau gehört schon lange zu den drängendsten wirtschaftspolitischen Themen. Die alte Bundesregierung hatte deshalb im September 2024 das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) verabschiedet, das von Verbänden wie der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zwar als „Schritt in die richtige Richtung“ angesehen wurde, aber vielen Unternehmen nicht weit genug ging.
Vor allem die CDU hat die Bürokratieentlastung daher immer wieder zum Wahlkampfthema gemacht und deutlich weiter reichende Maßnahmen zur Entbürokratisierung gefordert. Einige der Forderungen finden sich nun auch im Koalitionsvertrag wieder, der zwischen CDU, CSU und SPD ausgehandelt wurde. Welch große Bedeutung die Bürokratieentlastung für die neue Bundesregierung hat, lässt sich allein schon daran erkennen, dass immerhin knapp 5 Prozent des Koalitionsvertrages direkt dem Bürokratieabbau gewidmet sind (215 von insgesamt 4554 Zeilen).
Sofortprogramm für den Bürokratierückbau
Die wichtigsten Maßnahmen für die Bürokratieentlastung sind im Koalitionsvertrag im Sofortprogramm für den Bürokratieabbau zusammengefasst (Zeilen 1905 bis 1928):
- Insbesondere mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen sollen bis Ende 2025 die Verpflichtungen zur Bestellung von Betriebsbeauftragten abgeschafft und der Schulungs-, Weiterbildungs- und Dokumentationsaufwand deutlich reduziert werden.
- Das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG, „Lieferkettengesetz“) wird abgeschafft und durch ein Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung ersetzt, das die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) bürokratiearm und vollzugsfreundlich umsetzt.
- Die Berichtspflicht nach dem Lieferkettengesetz wird unmittelbar abgeschafft und entfällt komplett.
- Das Energieeffizienzgesetz und das Energiedienstleistungsgesetz werden novelliert und vereinfacht und auf EU-Recht zurückgeführt.
- Die Kassenbon-Pflicht wird abgeschafft. Für Geschäfte mit einem jährlichen Umsatz von über 100.000 EUR wird ab dem 01.01.2027 eine Registrierkassenpflicht eingeführt.
- Zahlreiche bestehende Statistikpflichten werden ausgesetzt. Dazu werden insbesondere das Außenhandelsstatistikgesetz, das Gesetz über die Statistik im produzierenden Gewerbe und das Handels- und Dienstleistungsstatistikgesetz überprüft. Bei den fünf für die Wirtschaft aufwändigsten Statistiken soll die nationale Übererfüllung von EU-Vorgaben vollständig beseitigt werden.
- Es sollen mindestens 20 Prozent der Verwaltungsvorschriften des Bundes abschafft werden, um der Verwaltung wieder mehr Entscheidungsfreiraum zu geben.
25-Prozent-Abbauziel und Bürokratierückbaugesetze
Der Koalitionsvertrag 2025 sieht konkret vor, dass die Bürokratiekosten für die Wirtschaft um 25 Prozent (rund 16 Milliarden EUR) reduziert und der Erfüllungsaufwand für Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger sowie Verwaltung um mindestens 10 Milliarden EUR gesenkt wird. Jedes Ressort trägt dazu in eigener Verantwortung bei. Die Abbaumaßnahmen der einzelnen Ressorts werden in mindestens einem Bürokratierückbaugesetz pro Jahr gebündelt.
Die Ziele sollen auch durch Erhöhung von Schwellenwerten, Ausweitung von Ermessensspielräumen, Pauschalierungen, Stichtagsregelungen und Bagatellvorbehalten erreicht werden. Zusätzlich soll ein fachrechtlicher Bürokratierückbau erfolgen. Relevante Standards aus den Bereichen Menschenrechte, Bürgerrechte, Verbraucherrechte, Arbeitnehmerrechte oder zur Verhinderung von Steuerbetrug sollen dabei nicht abgesenkt werden.
Unterstützungsmaßnahmen für Mittelstand, Handwerk und Selbstständige
Der Mittelstand, das Handwerk und Selbstständige sollen mit einer ganzen Reihe von weiteren Maßnahmen unterstützt und entlastet werden (Zeilen 329 bis 359). Dazu gehören vor allem:
- Flexiblere gesetzliche Rahmenbedingungen, einfachere Vergabeverfahren und schnellere Genehmigungsprozesse. Hierzu zählen etwa die stärkere Durchlässigkeit von Ausbildung und Meisterprüfung zum Studium und die Verstetigung der Ausbildungsförderung
- Beschleunigte Arbeitsgenehmigungen für qualifizierte Fachkräfte
- Der Abbau von Dokumentationspflichten, die mittelstandsgerechte Vereinfachung von Normen und Standards, die Reduzierung der Nachweisführung von Fördermitteln sowie ein leichterer Zugang zu Innovationsprogrammen
- Den Abbau von Schriftformerfordernissen, insbesondere im Arbeitsrecht (zum Beispiel bei Befristungen)
- Ein sofortiges Moratorium von mindestens zwei Jahren für alle neuen rechtlichen Statistikpflichten
- Die Umstellung der Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer auf ein Verrechnungsmodell
- Mehr Rechtssicherheit für Selbstständige und ihre Auftraggeber durch eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens
- Das zeitnahe Ende der Überprüfungen der ausgezahlten Corona-Hilfen durch Festlegung eines Schwellenwertes, unterhalb dessen Stichproben genügen
Bürokratische Hemmnisse identifizieren und beseitigen
Damit sich bürokratische Hemmnisse zukünftig besser identifizieren und beseitigen lassen, sieht der Koalitionsvertrag die Einrichtung eines digitalen Bürokratieportals vor, über das bürokratische Hemmnisse und Verbesserungsvorschläge mitgeteilt werden können. Zudem soll jedes Bundesministerium mehrere Praxischecks pro Jahr durchführen. Im Austausch mit Ländern, Kommunen, Sozialversicherungsträgern und sonstigen Normsetzern (zum Beispiel Selbstverwaltungskörperschaften) sollen konkrete
Vorschläge erarbeitet werden, um Bürokratie in (unter-)gesetzlichen Vorschriften auch jenseits der Bundesverwaltung zu reduzieren.
Außerdem soll die bisher gültige „One in, one out“-Regel zu einer „One in, two out“-Regel fortentwickelt werden: Für jedes neue Gesetz sollen zwei vorhandene Gesetze abgeschafft werden, sodass die bürokratische Belastung sinkt.
Digitalisierung vereinfacht Verwaltungsleistungen und Unternehmensgründungen
Konsequente Digitalisierung und „Digital-Only“ sollen zu weiteren Bürokratieentlastungen führen. Um Bürokratie zu reduzieren, sollen eine Gründerschutzzone geprüft, notarielle Vorgänge vereinfacht und digitale Beurkundungsprozesse sowie der automatischen Datenaustausch zwischen Notariat, Finanzamt und Gewerbeamt ermöglicht werden. Alle Anträge und Verwaltungsleistungen sollen unkompliziert digital über eine zentrale Plattform („One-Stop-Shop“) ermöglicht werden, das heißt ohne Behördengang oder Schriftform. Für Unternehmen, Selbstständige und Vereine sollen spezifische Zugänge geschaffen werden. Unternehmensgründungen sollen dadurch innerhalb von 24 Stunden möglich werden.